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Review


Laienherrschaft, Laienherrschaft, Laienherrschaft…

Wir wollen nichts beschreien, aber doch sichergehen, dass der metacrawler (den ich mir vorstelle wie einen überdimensionalen Pillendreher) es auch findet, unser Stichwort, und es einarbeitet in einen kugelförmigen, duftigen, aus welchen Bestandteilen auch immer bestehenden Suchbegriff…

Auf dem Grabstein der Kulturpublizistik alter Schule mag stehen, dass sie in ›interessanten Zeiten‹ gelebt hat. In ›interessanten Zeiten‹, und nichtsdestotrotz verschieden ist.
Und an den Zeiten gelitten hat (was nicht auf dem Grabstein steht), und verschieden ist aufgrund der Zeiten (was sich für den kundigen Zeitgenossen, zumal jenen, der mit Honorarabrechnungen zu tun hat, diese erleidet oder gar rechtfertigen muss, von selbst versteht).
Oder verhält es sich anders? Verhält es sich wie mit dem Ehrentitel ›letzter Humanist‹, der schon manchem schreibenden Zeitgenossen zuerkannt worden ist, weil man ihn für den letzten seiner Art gehalten hat wie einen Flussdelfin. Und der sich dann doch wieder, in der Rückschau betrachtet, hat einreihen lassen müssen, in eine in Fortsetzungen erscheinende Serie ›letzter Humanisten‹ (woraus zwar hervorgehen mag, dass das Phänomen der Renaissance nicht nur etwas mit dem Wiederaufleben, sondern eben auch mit dem Sterben zu tun hat, aber auch die Kulturpublizistik, die solches verantwortet, sich etwas schablonenhaft ausnimmt, indes sie bloss auf die Signalwirkung eines Schlagworts setzt und dieses, in Abständen, immer wieder breittritt).

Den von Ruedi Widmer unter dem Titel Laienherrschaft herausgegebenen Band mag man unter verschiedensten Gesichtspunkten lesen, und mit Gewinn lesen, denn es handelt sich nicht um einen Band, der etwa die Laienherrschaft beschreien würde, sondern diesen Begriff sozusagen, bezogen auf die Produktionsseite wie auf die Rezeptionsseite von Kunst, lanciert und zu einem Dreh- und Angelpunkt der Reflexion über zeitgenössische Kulturpublizistik und Kunstpraktiken machen möchte. Meiner Ansicht nach gelingt das auch, zumal in der souveränen Einleitung des Herausgebers, obschon ich in den deutschsprachigen Medien lediglich Kurzbesprechungen des Buches gelesen habe, der im Grunde eher eine Besprechung in der Art eines ›Tagungsberichts‹ (einer eher akademischen Form) verdienen würde. Denn gross ist die Zahl der darin behandelten oder angesprochenen Gesichtspunkte, und eine sehr illustre Runde von Kulturpublizistinnen und -publizisten hat zu einem virtuellen Symposion zusammengefunden (und gerne hätte man auch in die Gespräche auf den Korridoren, und zwischen den besagten Teilnehmern hineingehört; der Beitrag von Stefan Zweifel, im Übrigen, reflektiert auf eine Begegnung mit Peter von Matt, die, sozusagen in Erweiterung des Symposions, andernorts, und früher stattgefunden hatte).
Aber wer schreibt heute noch Tagungsberichte, ausser Akademiker, die solches als einen Investition betrachten, weil es im besten Falle Aufmerksamkeit verschafft und im wenigsten schlechten Fall, die Publikationsliste ergänzt.
Die Hauptbeiträge des Bandes Laienherrschaft kommen überwiegend in einem Kleide daher, wie sie auf zeitgenössischen akademischen Symposien heute durchgehen würden, und der Band, nebenbei gesagt, wirft auch die Frage auf, ob er selbst, ob die akademische Publizistik als solche eigentlich zur Kulturpublizistik zu rechnen ist (sehen wir von den vom Herausgeber durchwegs kundig geführten Interviews, die auch ein Bestandteil des Bandes sind, einmal ab). Und da wir uns schon bei solchen Subtilitäten aufhalten, mag kurz auch die Frage aufgeworfen sein, ob wir nicht auch Zeuge einer Reakademisierung der Kulturpublizistik sind, denn, kurz gesagt, wer kann es sich eigentlich noch leisten, für ein lediglich symbolisches Honorar zu schreiben, ausser jenen, die sich dies aufgrund ihrer akademischen Stellung leisten können (und zudem gerne gedruckt sehen).
Dies nur nebenbei gesagt, aber unübersichtliche Zeiten mögen nicht zuletzt durch kleinere Gegenströmungen zu ihren Haupttrends gekennzeichnet sein.


Ganz abgesehen davon, dass ich den Band als eine Standortbestimmung zeitgenössischer Kulturpublizistik gelesen habe (und weniger als Bestandesaufnahme zeitgenössisscher Kunstpraktiken), bekenne ich auch, Laienherrschaft noch unter einem ganz spezifischen Blickwinkel gelesen zu haben. Nämlich um zu erfahren, ob in der zeitgenössischen Reflexion über Kulturpublizistik eigentlich der Begriff ›Kennerschaft‹ vorkommt, den ja die publizistische Plattform umspielt, auf der auch diese Rezension (als der erste rein deutschsprachige Text) erscheint. Denn hinter dem Begriff Laienherrschaft vermutet man den Begriff Expertenkultur oder einen ähnlichen Begriff als einen von vornherein vorausgesetztes Gegenbegriff.
Oder anders gefragt: Ist als Gegenteil der Laienherrschaft gar die Kennerschaft vorausgesetzt, oder spielt dieser Begriff, sei es in seiner eher negativ konnotierten Bedeutung (als rechthaberische, selbstverliebte Besserwisserei, als dekadenter, gelangweilter Hedonismus der Wohlhabenden) oder in seinem guten Sinne (als Kennerschaft, die aus der Begeisterung für einen Gegenstand erwachsen ist und eher daran zu erkennen ist, dass sie sich selbst genügt, eher verschlossen ist, im besten Fall sich selbst für Momente an andere verschenkt, ganz sicher aber nicht zu Markte tragen will, sondern ihren Platz eher in einer Nische finden und Gefährdungen erleiden muss), spielt dieser Begriff gar keine Rolle mehr?
Denn wenn wir Zeuge von Neu-Konfigurationen und Umschichtungen sind, die Chancen und Risiken bergen, so mag man doch darum besorgt sein, ob Expertentum (oder eben Kennerschaft) in den traditionellen Formaten, oder in neuen, aus Zersplitterungen von Öffentlichkeiten hervorgehenden und von Laien massgeblich (mit) geprägten Formaten ihren Platz hat bzw. finden kann. Und die Kennerschaft unterscheidet sich ja gerade vom rationalistischen Expertentum dadurch, dass sie auf einer Leidenschaft gründet (und diese nicht, wie das akademische Expertentum, um der Rationalisierung willen unterdrückt, ausschliesst, oder zumindest unter strikter Kontrolle halten muss). Die Frage nach der Kennerschaft durchkreuzt also in einem gewissen Sinne die Frage nach der Laienherrschaft, weil sich die Frage nach der Kennerschaft an die Laien wie an die traditionellen Experten wendet, und insbesondere auch an den Blogger (wer immer er/sie ist), und eben auch fragt, inwiefern sich Wissen und inneres Beteiligtsein an der Sache (der Kultur), Kunstsinn und empirische Vertrautheit mit den Dingen, mischen und verbinden (und meines Erachtens nähern sich Laie und Experte in Ruedi Widmers Verständnis ein wenig zu sehr einander an, indem sie sich als Konsumenten begegnen).

*

Thedor Fontane hat, in einem entlegenen Text, dargelegt (vgl.: http://www.seybold.ch/Dietrich/A21stCenturyRenaissance und siehe unten), durch welche Qualitäten, aus seiner Sicht, ein gelungener Reiseführer besticht. Mehrere Faktoren müssen zusammenspielen, so könnte man die besagte Rezension zusammenfassen (die ironischerweise einem Romreiseführer gewidmet ist, der auf dem Netz nicht, und auch sonst nur unter Inkaufnahme von Mühen zu beschaffen ist): Gelehrsamkeit, empirische Vertrautheit mit den Dingen, Kunstsinn und – Zeit. Denn totes Wissen geht niemanden etwas an, inneres Beteiligtsein erst belebt jedes Wissen und auch die Anschauung und zeugt von einer lebendigen Beziehung zu einem Objekt (hier der Stadt Rom samt Umland), sodann ist Kunstsinn vorausgesetzt, und der Faktor Zeit, wie sich von selbst versteht, muss eingesetzt werden, um zum einen Wissen zu erlangen, wie auch zum anderen um eine lebendige Beziehung zum Objekt überhaupt erst aufzubauen und herzustellen.
Aus dem Zusammenspiel dieser Faktoren, könnte man sagen, entsteht Kennerschaft, und, auf Beispiele zeitgenössischer Kulturpublizistik übertragen, wäre zu fragen: Welche Formate erlauben solches (noch)? Sind es die traditionellen, oder neue, von Laien (mit) geprägte Formate? Antworten stehen, meines Erachtens, heute aus, d.h. wir befinden uns mitten in den Umbrüchen und wissen nicht: sind wir noch Flussdelfin, oder schon tot?
Oder: In etwas nüchterner Diktion. Ist diesem Fontane’schen Ideal der Kennerschaft noch nachzuleben?
Und: Kann als Kulturpublizist überhaupt noch überleben, wer diesem Ideal nachzuleben wünscht?


(Picture: kulturpublizistik.ch)

http://www.kulturpublizistik.ch/?p=89

»Empiriker schreiben nach Augenschein ohne eigentliches Wissen; Männer der Wissenschaft aber andererseits schreiben aus toter Gelehrsamkeit heraus, ohne die lebendige Einwirkung des Gesehenhabens. Kommen aber ausnahmsweise Gelehrsamkeit und empirische Vertrautheit mit den Dingen zusammen, so pflegt dann wieder das feinere Verständnis zu fehlen, der angeborene Kunstsinn, ohne den sich freilich ein Durchschnittsbuch, eine Aufzählung des Sehenswerten, ausstaffiert mit historischen Notizen und vorgefundenen Urteilen, herstellen lässt, aber nicht ein Führer wie dieser, der, voller Sympathie mit den Dingen, die er beschreibt, nicht nur jegliche wünschenswerte Auskunft gibt, sondern anzuregen und zu unterhalten versteht. Herr Fournier hat eine Reihe von Jahren in Rom gelebt, und in die Kreise der römischen Gesellschaft eingeführt (das Buch ist der Gräfin Lovatelli gewidmet), sind ihm Dinge und in manchen Fällen auch wohl Aufschlüsse über die Dinge zugänglich geworden, die sich dem Auge Fremder zu entziehen pflegen.«

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Zuletzt geändert am 31 Januar 2015 21:20 Uhr
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